«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

11/16/2012

post-cinema!? videokunst #1

film, kino, was ist das? ohne die emotionen, ohne freude, trauer oder angst, die wir verspüren können, beginnend mit der theorie, dann ein dispositif. das zusammenspiel verschiedener faktoren, dem saal, der filmprojektion, dem bildschirm, dem zuschauer. der saal hat bestimmte eigenschaften, dunkelheit, kinosessel, eine hülle um den zuschauer. die projektion ist die vergrößerung des films auf der leinwand, das abspielen der filmrolle (was für eine rolle werden manche in einigen jahren fragen). dann die leinwand selbst, die projektionsfläche, flach an der wand, einmalig im kinosaal, ein rechteck, meißt weiß (auch auf schwarz kann man allerdings hervoragend projizieren) und lichtundurchlässig. letztendlich der vierte faktor, wir, der zuschauern, eine gruppe von menschen, die für eine bestimmte zeit eine gemeinschaft bildet, begrenzt und anonym. aber ist das heutzutage wirklich noch die einzige version von "kino"? was ist mit all den filmen, die auf handys, auf den bildschirmen, in museen gezeigt werden, videos, filmverschnitte, remakes, remixes, neu/umgestaltungen, collagen etc? ist das auch noch kino? wandert das kino in die museen und galerien wird es zum ausstellungskino ("cinéma d'exposition"). es gibt eine doppelte migration des kinos vom kinosaal in den ausstellungsort, eine umwandlung vom "kultwert" zum "ausstellungswert" (w.benjamin), so philippe dubois, seinerseits französischer filmwissenschaftler an der sorbonne nouvelle und gestern abend wohl gesinnt, uns in vier stunden so viel visuelles wie möglich einzuflößen. der film wandert also aus, wird dekonstruiert und rekonstruiert. es wird found footage betrieben, wie etwa bei matthias müller und seinen home stories, in denen er ausschnitte aus amerikansichen melodramen der 50er jahre hintereinander schneidet, um die stereotypen des genres hervorzuheben, was bleibt, ist das melodrama an der ganzen sache: eine hausfrau, alleine, des nachts, plötzlich... 
oder aber wie bei martin arnold, der mit den photogrammen von filmen arbeitet und sie rhythmisch rekonsontruiert und sich wiederholen lässt. was in pièce touchée und passage à l'acte übrig bleibt, ist das unbewusste des klassischen kinos. in erstem beispiel ein mann, der zu seiner frau nach hause kommt und dem dies sichtlich schwer fällt und in zweitem ein kleiner junge, der beim frühstück seinen vater mit dem messer erstechen will, oder etwa nicht?
man kann aber auch mit dem kinofilm außerhalb des kinos arbeiten, ohne den film direkt zu nutzen. psycho von hitchcock ist hierfür das ideale beispiel und alleine der wiederverwendung des films könnte man eine ganze ausstellung widmen. unter anderem hat sich der regisseur gus van sant dem klassiker angenommen und ihn nachgestellt. schaut man jedoch genau hin, gibt es szenen, die er entweder nicht übernommen hat oder gar ganz neu erfunden oder reinterpretiert hat. 
einer der bekanntesten videokünstler momentan ist wohl pierre huyghe, der frankreich auf allen biennalen, viennalen, kunstmessen repräsentiert und von dem sicherlich auch aus dem grund nichts auf youtube zu finden ist (aber vielleicht hat ihn jemand auf der dOCUMENTA gesehen). er rekonstruiert den film beispielsweise in ellipse, einer videoinstallation, in der er drei leinwände aufstellt und jeweils auf der ersten und dritten zwei ausschnitte aus wenders amerikanischm freund mit bruno ganz zeigt. dieser befindet sich in zwei verschiedenen räumen in paris, die szenen kommen im film direkt nacheinander. auf der zweiten leinwand sieht man ganz heute in paris (bzw. 1998), wie er über den pont des arts läuft, von der einen filmwohnung in die andere. huyghe hat 20 jahre nach dem film die räumliche und zeitliche distanz zwischen den orten überwunden und die fehlende lücke im film geschlossen. oder aber er rekonstruiert in seiner installation the third memory den film dog days afternoon von sidney lumet (mit al pacino). dieser war die verfilmung eines realen banküberfalls, der ein jahr zuvor stattgefunden hatte. huyghe lässt den überfall nachspielen, aber nicht von irgendwem, sondern von dem bankräuber selbst, der damals 25 jahre für den überfall ins gefängnis gehen musste. der räuber wird zum schauspieler, regisseur, kritiker und szenaristen gleichzeitg, verbessert, korrigiert und kritisiert gleichzeitig die filmversion von lumet. 
letztendlich kann der film noch auf eine weitere weise den kinosaal verlassen, verwandelt sich hierbei jedoch in eine unbewegliche aufnahme und wird in einem bild materialisiert. jim campbell lagert in seinen illuminated averages die photogramme eines films übereinander, bis diese nur noch ein großes lichtfeld umgeben und von dem film nur noch die essenz übrig bleibt, licht und farbe.
Jim Campbell, Illuminated Average #1, Hitchcock's Psycho, 2000
Jim Campbell, Illuminated Average #5, The Wizard of Oz, 2001
und kann mir jetzt noch jemand verraten, ob philippe dubois und das sz-magazin sich heimlich abgesprochen haben, oder warum erscheint gerade heute die kunstedition des magazins mit einem spezial zu ... genau, videokünstlern?
so, es wird kein videkunst #2 geben, zumindest nicht inspiriert vom sz-magazin, eine SEHR enttäuschend ansammlung von videos, ohne großen künstlerischen anspruch, kaum reflektion und wenig sinn, noch nicht mal sinnvolle sinnlosigkeit. es sieht mehr nach hobby-videobastlern aus.

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