da musste doch noch etwas mehr her, als mein kleiner hinweis zu frankreichs großem literaturspektakel. diesmal ausführlich und in ordentlicher artikellänge, merci beaucoup à mon ami artiste du bon mot et bonne lecture...
von Nicolas Oxen
Der stille Defätist
Nach zwei folgenlosen Nominierungen, schließt Frankreich eines seiner „bösen Kinder“ wieder in die Arme und verleiht Michel Houellebecq seinen wichtigsten Literaturpreis.
Sein neuer Roman „La carte et le territoire“ provoziert wie immer – diesmals leider auch die vereinnahmende Lobhudelei der französischen Literaturkritik.
Der stille Defätist
Nach zwei folgenlosen Nominierungen, schließt Frankreich eines seiner „bösen Kinder“ wieder in die Arme und verleiht Michel Houellebecq seinen wichtigsten Literaturpreis.
Sein neuer Roman „La carte et le territoire“ provoziert wie immer – diesmals leider auch die vereinnahmende Lobhudelei der französischen Literaturkritik.
„Karten, nicht kopien machen!“ war der Schlachtruf mit dem Gilles Deleuze und Felix Guattari 1974 in ihrem Vorwort zu „Tausend Plateaus“ die Axt an den Stamm der einförmigen Baum- und Buchkultur legten. Zu zersägen galt, was an ideologischen Verbindungen zwischen Nation und Literatur in Europa gewachsen war.
„La carte et le territoire“ ist ein sprechender Titel auf dem Einband von Houllebecqs neuem Roman, der in starken Linien die Karte der modernen französischen Gesellschaft nachzeichnet, von der an nationaler Symbolik nicht mehr geblieben ist, als das politische Territorium und leere Traditionsfolklore.
Das „Rhizom“, ein Wurzelwerk, stand bei Deleuze und Guattari noch für den künstlerischen und gesellschaftlichen Aufbruch. Die Idee der Kultur als wucherndes Wurzelgeflecht, gegen die stolzen Stämme der sogenannten „Kulturnationen“.
Müßig scheint es von Kultur und Gesellschaft zu sprechen – von Kultur und Politik ganz zu schweigen.
Die „Vielheiten“, von denen die ver-rückten Kulturtheoretiker damals sprachen, sieht das sarkozystische Frankreich heute als große Bedrohung und hat die „Deterritorialisierung“ mit „Abschiebung“ übersetzt. Der Staat herrscht durch Bücher und zugleich über sie, so bleibt das Literarische immer politisch und das Politische zugleich literarisch.
So bizarre wie real, erscheint diese krumme Beziehung besonders in einer grande nation wie Frankreich, die nach Nicolas Sarkozys kruder Kopfgeburt des Ministère de la culture et de l'identité nationale die kulturelle Besitzstandswahrung zur Identitätsbastelei missbraucht.
Solchen waghalsigen Konstruktionen hat sich Houellebecq in seinem Roman immer zynisch entgegen gestellt. Für ihn existiert Frankreich auf der Karte als geographisches Territorium. Dessen Grenzen halten nur noch eine Masse erschöpfter Menschen zusammen. Die „Kinder des Vaterlandes“ sind wie in allen hochgezüchteten Industriestaaten einsame, frustrierte Triebtiere im Kampf mit der eigenen sexuellen Ökonomie. Kultur ist eine neue Form des Marketing und die Gesellschaft ein post- und hpyer- individualisiertes Konglomerat unglücklicher Existenzen.
Burnout ist da Lebensprinzip, bei dem aus Leidenschaft weder Liebe noch Leistung entsteht.
„Extension du domaine de la lutte“ (1994) (Ausweitung der Kampfzone 1999), Titel seines ersten Romans, klingt in diesem Zusammenhang fast programmatisch, er ist eine Parabel auf den Einbruch von Kommerz und Lifstyle in zwischenmenschliche (Sex-)Beziehungen. Wer von Houellebecq gutmenschliche Heilserzählungen erwartet, für den bleibt er zynischer Nihilist, ein „Geist der stets verneint“.
„Und das mit Recht“ muss man anfügen, denn genau das macht ihn zum großen Moralisten. Nicht moralisch zu sein ist Aufgabe des echten Humanisten, nicht großspurig Auswege als Heilsversprechungen anzupreisen sondern deren Funktion zu denunzieren. Was bleibt ist die Entgrenzung, die Flucht vor dem großen Beschiss der „foutaise merdique“, sei es die Freikörperkultur der französischen Swinger-Strände wie in „Les particules élémentaires“ (1998) (Elementarteilchen) oder der Sextourismus in Thailand in „Plateforme“ (2001) (Plattform, 2003). Immer schon ist die post-kapitalistische Gesellschaft der totalen Individualisation ein perverses S/M-Spiel aus Lustgewinn und Knechtung.
„La carte et le territoire“ macht deutlich, dass auch der heilige Schein der Kunst keine Erlösung verspricht, sondern sich nach den Mustern des Kommerzes selbst generiert.
Zwischen den Sach-und Ausdruckszwängen zwischen Politik, Kunst und Kapital ist die Hauptfigur Jed Martin ein unfreiwillig kritischer Künstler. „Damien Hurst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“ ist der Titel eines seiner Bilder, ein sarkastischer Kommentar in Öl auf das schnelle Geld mit dem schönen Schein der Kunst. Aber auch Jed ist ein Künstler im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, die nicht mehr nur Kopien, sondern auch den style verhökert. Die Straßenkarten von Michelin, der französichen Institution für territoriale und kulinarische Orientierung, sind die Vorlagen für seine Fotoserien, die sich zu astronomischen Preisen wie warme Semmel verkaufen lassen. Jed wird hochgehandelter Star-(künstler), der unfreiwillig eine große nationale Sehnsucht befriedigt hat, die nach dem territoire oder vielmehr dem terroir, diesem erdigen Begriff, dem auratischen Wort, das auf jeder billigen Käseverpackung kulinarische Ursprünglichkeit suggerieren soll.
Gekonnt karikiert dieser Roman „la vielle France“ und ihre mythologies, den Charme der alten Dame. Das ist bei Houellebecq nichts Neues, aber wie immer stilistisch scharf und schnörkellos präsentiert.
Jetzt ist er prämiert, dieser kalter Stil, der beschreibt, ohne mit dem Finger zu zeigen und so die Verzweiflung radikal und ohne Erlösungsversprechen sichtbar macht.
Inhaltlich findet man einige Themen und Figuren wieder, an denen sich interpretatorische Kritik gütlich laben mag: das schwierige Vater-Sohn-Verhältnis, den Sexappeal der kraftvollen Karrierefrauen, glücklose Fickerei und die existenzialistische Tristesse des Alltäglichen. Er sei zahm geworden hat man gesagt, „beherrscht“ sei sein Roman und erzählerische Griffe, wie die reflexive Thematisierung der Autorenfigur gelobt. Doch die sind nicht mehr, als sie eben sind – Gestaltungsmittel. Michel Houellebecq „stirbt sich“ in diesem Buch so absurd wie Ionescos König. Grausam zerstückelt wird er in seinem Appartement aufgefunden, nachdem er die Texte für Jeds Ausstellungskatalog geschrieben hat. Seine fleischlichen Überreste, sind kaum von denen seines Hundes zu unterscheiden, den das gleiche Schicksal ereilt hat. Der werkimmanente Splatter-Tod ist hier kein Kunstgriff einer mise-en-abyme sondern Resultat einer Abstraktion von Autor zu Figur, die schließlich auf ihre Einzelteile, Fleischstücke reduziert wird. So arbeitet auch die Gesellschaft, die Houellebecq im Auge hat, auch sie belegt Wurst mit Fitness- und Wellnessversprechungen. „Michel Houellebecq“ ist hier ein Etikett, leeres Marketingversprechen, das durch „Autor von“ ergänzt, auch in jeder Buchbroschüre stehen könnte.
Michel Houellebecq ist „immer schon ganz woanders“ wie Deleuze und Guattari es schreiben. Ganze konkret seit mehreren Jahren auf Lanzarote, außerhalb des Territoriums. Denn spätestens seit „Plateforme“ gilt Houellebecq als perverser, islamhassender Reaktionär. Zu kontrovers war das Buch und flog im Terrorjahr 2001 aus der zweiten Selektion für den Prix Goncourt. Trotz allem Sicherheitabstand, war man froh über den bösen Provokateur, das viel übersetzte Aushängeschild Frankreichs.
Jetzt erfolgt die Heimholung durch die die Lobhudelei der französischen Kritik, die seinen neuen Roman als „beherrscht“ bezeichnet und mit einem erzählerischen Qualitätssiegel versieht. Sogar der ewige „Balzac-Vergleich“ muss nochmal als literariturkritische Einordnungsverbigung herhalten, um Houellebecq mit der nationalen Kulturtradition auf Linie zu bringen – so sieht sie aus, die echte „Comedie humaine“. Auch literarische Tradition ist eben biegsam.
Arthur Rimbaud und Charles Baudelair, Jean Genet und Céline alles „böse Poeten“ und „schlimme Kinder“. Auch sie hat die grande nation verspätet im panthéon der Nationalkultur begraben. So werden die großen geschmähten Geister zum Schweigen gebracht, um nicht länger von Rausch und Exzess, von Haschisch, Wein und Grausamkeit zu singen.
Jeder Preis, jede Anerkennung bedeutet immer auch Vereinnahmung, die stürmische Umarmung der französischen Kritik seufzt „enfin!“, als hätte der „Goncourt“ auf diesen Autor gewartet. Das der Berg jetzt zum Propheten kommt, ändert für das Projekt Houellebecq aber recht wenig. „ Le Sense du combat“, lautet der Titel seiner frühen Gedichtsammlung. Nach dem „Sense“ mögen die Kritiker weiter eifrig suchen, es mit „Richtung“, „Bedeutung“ oder „Sinn“ übersetzen und verbiegen – was bleibt und zählt ist der Kampf um das Glück.
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