«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

10/24/2011

tanzt, tanzt, sonst sind wir alle verloren

(ein dank an pina bausch für die wahren worte und a propos, der film pina von wim wenders ist der dt beitrag für das oscar-rennen 2012)

Das Tanzsymposium der GTF liegt nun zwar schon eine Woche zurück, aber einen kleinen Rückblick auf das Wochenende wollte ich trotzdem noch geben. und wo fange ich an? nicht beim herrlichen Sonnenschein, den wir in Köln 3 Tage lang hatten. aber gut, ich sage es trotzdem, wie Frühlingsanfang! und trotz zahlreicher Vorträge und Beiträge, habe ich lange nicht mehr so viel mit Café, Thé oder Anderem in der Sonne gesessen. Dabei ließ sich sehr gut über diverse Performance-Lectures und Poster-Vorträge nachdenken. Poster was? Ja, die angesagten wissenschaftlichen Vortragsweisen und -bezeichnungen sind auch im noch etwas unterräprestierten Fach der Tanzwissenschaften angelangt.Das Tanzsymposium 2011 der Gesellschaft für Tanzforschung findet seit 1988 statt (beachtlich), mitlerweile im Zweijahres-Rythmus. In diesem Jahr haben wurde Descartes "Corgito ergo sum" für Ihre Zwecke umgedichtet und das sehr wahre "Ich tanze, also bin ich" daraus gemacht. Denn, dass Tanz nicht nur mit Tutu oder Jazz-Sneakern möglich ist, sondern auch mit der alltäglichen Bewegung und Begriffen wie soziale Choreographie zu tun hat, haben wir in den drei Tagen gelernt und vorgeführt bekommen.
2011 stand unter dem Oberthema TANZerfahrung-WELTgeschehen und wie das schon vorausschickt, sollte der Tanz in unserer Welt verortete werden, egal ob in künstlerisch-ästhetischer, politischer, sozialer oder auch pädagogischer Weise. Dabei führten die vier Programmpunkte Tanzen mit dem Körper, Tanzwelten und Lebenswelten, Vergangene Welten und Vielfalten der Tanzkulturen in Bildungskontexten.
Den Einstieg ins Wochenende machte Gabriele Klein mit eben der "sozialen Choreographie", indem sie die Politik von Tanz und Choreographie untersuchte und die Ästhetik der bewegten Ordnung der Alltagswelt betont. Die soziale Choreographie ist demnach in 4 Punkten eine Organisation von Körpern in Zeit un Raum. Sie ist Kulturtechnik, Sozialtechnik, auf den Anderen bezogen und von Lesbarkeit bestimmt, was heißt, das wir mit Bourdieus sens pratique immer auf unsere Wissensbestände zurückgreifen. Heutzutagen sind unsere alltäglichen Bewegungen jedoch stark durch Ordnungen einer allzu kontrollierten Gesellschaft bestimmt. Klein stellte in diesem Zusammenhang das Ligna-Radioballett aus Hamburg vor, das sichtbar macht, "was nicht sichtbar sein darf". Über eine Rdaiofrequenz wird den Teilnehmern der Performance im öffentlichen Raum die Bewegung vorgesagt und so treffen sich beispielsweise einander unbekannte Menschen im Bahnhof und folgen diesem choreographischen Ablauf. Das Ligna Radioballett hat sich gerade den Bahnhof ausgesucht, da dieser besser als jeder andere Ort, die Verwandlung von einem Nicht-Ort nach Marc Augé zu einem Konsumtempel darstellt.

Ein weiteres Beispiel für soziale Choreographie ist William Forsythes Installation White Bouncy Castle von 2010. Eine Springburg, in der alle Teilnehmer gleich sind. Sobald man sie betritt, beginnt der Tanz gezwungenermaßen.

Im Endeffekt wollte Klein beweisen, dass der Begriff der Choreographie nicht an den Tanz gebunden ist, Choreographie in der Alltagswelt und tänzerische Choreographie sind zwei unterschiedliche Systeme und Diskurse.
Ein anderer spannender Beitrag, war die Fragestellung Susanne Foellmer, wie Tanz zu bewahren und im Weltgedächtnis zu verankern sei. Was wird mit dem Erbe von Pina Bausch geschehen, wenn ihr Compagnie nicht mehr um die Welt tourt, was mit Merce Cunningham nach der letzten Legacy Tour? Hier wird weitergetanzt mit dem Versuch, das alte aufrechtzuerhalten und der Hoffnung, dass es nicht vergessen wird. Andererseits gibt es jedoch auch viele Künstler, die in ihren Stücken Rekonstruktionen bekannter Choreographen präsentieren (wie der Mary Wigmann Abend von Fabian Barba) oder sich selbst immer wieder rekonstruieren, wie Anne Terese de Keersmaeker es tut. Sie tourt um die Welt und zeigt immer wieder auch ihre alten Stücke, in denen sie teilweise auch noch selbst mittanzt. Und mit Blick auf den letzten Copy-and-Past Skandal zwischen de Keersmaeker und Beyoncé, ist dies nicht sogar eine Möglichkeit, den Tanz weiterzutragen, in veränderter Form (Zumindest, wenn daran erinnert wird, woher er kommt und wer in schuf, Miss Knowles) Wie entscheidet man, was in die Erinnerung eingeht, wer bestimmt oder was wäre die Möglichkeit für ein richtiges Tanzarchiv? Archivarbeit ist im Film, im Theater oder in den bildenden Künsten weitaus verbreiteter.
Als letzter bewies uns Walter Siegfried in seiner Partitur der Stadt, dass jeder Fußgänger die Straße zum Tanzboden werden lassen kann. Es geht um Bewegungskoordination mit den anderen, der Organisation von Räumen und Bewegung und der Frage, inwiefern die Architektur unsere Bewgungen vorgibt und wir diese Vorgaben auch umgehen können. Aber dazu folgt in Kürze mehr, Eigenexperiment in Arbeit...

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