«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

5/05/2012

irgendwie verstörend

ich komme gerade aus dem Kino. An Tagen wie diesen, wenn sich das Wetter nicht richtig entscheiden kann, gibt es nicht schöneres, als schnell nach der Jacke zu greifen und in die nächste Vorstellung zu eilen. Noch dazu, wenn mich dort ein ebensolcher Himmerl erwartet. Und eigentlich mag ic diesen auch, eine Mischung aus Sonne und Regen, leicht blaugrau (wie die T-Shirts unten), irgendwie schleierhaft und jederzeit kann die Wolkendecke über uns aufreißen, so wie über Sandra Hüller zu Beginn dess Films "Über uns das All" (der leider die schlechte und fehlleitende Übersetzung "L'amour et rien d'autres" erhalten hat. "Above us only sky" im Englischen trifft es da besser). Hüller spielt die junge Lehrerin Martha Seibel, die kurz davor steht, mit ihrem Mann nach Marseille zu ziehen. Alles sieht perfekt aus, aber Shakespeare zu Beginn des Films ("Love is not love) kann nur heißen, dass da mehr kommen wird. Marthas Mann fährt vor, nach Marseille, kurze Zeit später steht die Polizei mit einer Selbstmordnachricht vor der Tür. Für Schauspieler empfinde ich solche Situationen immer als sehr heikel, nie oder selten habe ich das Gefühl, das sie der Realität gerecht würden. Ich weiß nicht, wie man sich in solch einer Situation verhält, aber Sandra Hüller hat diese unglaublich realistische Art, keine Gefühsduselei, keine plötzliche, ungläubige Erschrockenheit. Sie nimmt wahr und reagiert, rastet später aus und fällt schließlich ins Psychologische, als sie feststellt, dass es ihren Mann Paul so nie gegeben hat. Er war seit Jahren nicht mehr an der Universität, promoviert hat er auch nicht und die Doktorarbeit von jemand anderem kopiert. Und plötzlich, noch auf der Suche nach Paul, ist da ein anderer Mann. Der Übergang in die zweite Hälfte des Films kommt unangekündigt und schnell. Es ist eine Geste, die Martha bei Alexander an Paul erinnert, der selbe Tick, sich durch die Haare zu streichen. Oder hat Paul das kopiert oder sind sich die beiden Männer nur ähnlich? Das fragt man sich gleich und man fragt sich auch, was mit Martha passieren wird, die Alexander sofort die Tür zu ihrer Wohnung und zu ihrem Leben öffnet, ohne, dass er ihre Vergangenheit kennt. Erkennt sie in ihm ihren Paul wieder, ist Alexander Paul, verrennt sie sich oder hat sie den Verlust wirklich schon überwunden? Gerade der Zweifel am Film, nicht nur der Personen, sondern auch der Zweifel an der Inszenierung ist das, was mir gefiel. Man konnte sich nie sicher sein, genau so wenig wie im Leben, dass "halt manchmal keinen Sinn macht", wie Martha bei der Polizei zu hören bekommt. Was ist das Leben und was ist das Liebe? "Über uns das all" ist im Grunde eine One-Woman-Show, in der Sandra Hüller eine komplette Charakterpsychologie durchspielt. In eingien Momenten, wie der Faschismus-Liebe-Diskussion in einer Bar oder aber auch beim Squasch-Spiel von Alexander und Bernd, bin ich mir dann zwar doch nicht mehr sicher, ob das wirklich so gut ist, aber im Endeffekt spricht das Unangenehme im Film gerade die Wahrheiten an, nach denen wir auch suchen, die wirklichen Wahrheiten. Was das ist, das Leben und die Liebe. Und wenn man selbst auch tief sinken kann während des Films, reißt einen Jan Schomburg zum Ende mit einer unkonventionellen Musikwahl wieder in den Kinosaal zurück. Was macht ich jetzt damit, fragt sich das Publikum leicht verstört? Irgendwas suchen, im Leben und hoffen, seine eigene Wahrheit zu finden.


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