«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

2/13/2013

lishtot, lishtot! lehaim!

Oma & Bella, schlicht und ergreifend wie einer der vielen Kekse, die die zwei um die 80 jährigen Damen immer backen, klingt der Filmtitel und deshalb ging er mir auch über zwei Jahre lang nicht aus dem Kopf. Abgesehen davon, dass auch dieses Bild der beiden auf einem Spreeschiff sitzenden Freundinnen dauerhaft hängen blieb und mir die Geschichte der Dokumentation gefiel, die 2011 in der kulinarischen Sektion der Berlinale lief. Alexa Karolinski ist die Enkelin von Oma, namentlich Regina Karolinski. Diese wohnt in Berlin-Charlottenburg, gemeinsam mit ihrer Freundin und längjährigen Wegbegleiterin Bella Katz. Seit fünf Jahren leben sie dort und teilen neben ihrer Kochkunst auch ihre Erinnerungen und die Vergangenheit als Holocaustüberlebende. Mit den Worten "lishtot, lishtot! lehaim!" (Gesundheit, Gesundheit! Auf das Leben!) beginnt der Film und beschreibt gleichzeitig auch die Kraft und magische Fröhlichkeit, die Oma und Bella ausstrahlen. Magische Fröhlichkeit mag angesichts ihrer Vergangenheit anmaßend klingen, aber man möchte dabei sein, wenn sie an den gläsernen Spreebauten vorbeifahren und "Die Berliner Luft" singen oder in ihren Morgenmänteln in der kleinen Küche stehen und ein jüdisches Rezept (denn Bella hat noch nie etwas anderes gegessen, außer der jüdischen Küche: "Ich esse nur jüdisches Essen. Alles ist so geblieben, wie es war. Alle sind ein bisschen modern geworden.") nach dem anderen zaubern. Man möchte in die Küche treten und die stoische Ruhe erkennen und wirken lassen, die sie ausstrahlen und die Alexa Karolinksi einfühlsam und intim einfängt. Eine Ruhe, die sicherlich auch Fassade ist, für die Schrecken und Verluste, die beide Frauen erlebt haben (keine einzige Fotografie ihrer Familien bleibt ihnen aus der Zeit der Verfolgung). Und man möchte dasitzen und zuhören. Anfangs wollte sie nur die Familienrezepte erlernen, doch dann wurde für die jüngere Karolinski ein Filmprojekt daraus. Sie filmt und probiert, wird von den beiden Protagonistinnen, die vor der Kamera aufgehen und bei weitem nicht mehr wie 80 wirken, ebenfalls befragt und antwortet auch. An irgendwelche dokumentarische Regeln ist hier nicht zu denken. Die Frauen teilen ihr Leben mit der Filmemacherin, geben zwischen der dampfenden Zubereitung von Kompott und eingelegtem Fisch Lebensweisheiten preis und erzählen dabei auch vom Holocaust ihrer Flucht und von der Liebe, alles immer miteinander in Verbindung stehend, egal ob schmerzlich oder fröhlich. In solchen Momenten erkennt man auch die tiefe Verbundenheit, die Oma und Bella teilen, das Dasein für den anderen wird im Blick von Regina Karolinski sichtbar, wenn sie ihrer Freundin zuhört, die nach einem Albtraum auf ihre Flucht zu sprechen kommt. 
Ein einfacher Film und gerade deshalb so wunderbar, da es einzig um die Menschen geht, die er porträtiert. Man möchte gleich mit einer Kamera auf die Straße laufen und Geschichten zu suchen, zuhören und vom Leben lernen.
Nachsehen (HIER AUF ARTE NOCH 6 TAGE) und ganz nach den Worten von Bella, von deren Humor und Schlagfertigkeit sich manch zäher Kabarettist einiges abschneiden könnte: "Ich finde das wundervoll" (herrlich, wie sie auf dem Boot sitzt, mit Sonnenbrille, schreiend pinker Veste und buntem Hemd, ein Eis genießend).

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