«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

2/13/2013

anwesend in abwesenheit / présence en absence #3

2. und 3. Tag der Berlinale (Filme, die garantiert nicht in der Zeitung rezensiert werden), gecampt wird immer noch
2ème et troisième journée de la Berlinale, on campe toujours
(Gastbeitrag von/Rédactrice invitée Kristina Lutscher)
© K. L.
Tag 2 –3 Highlights und Enttäuschungen

Ein bemerkenswertes Phänomen in den als Festivalgelände okkupierten Gebäudeschluchten um den Potsdamer Platz herum sind die regelmäßig auftretenden Menschenwucherungen. Vor Türen, neben Gebäuden, in Gebäude hinein, im Sonderfall stehen sie an gleichfalls mysteriös platzierten Bauzäunen entlang - wofür sie sich jedoch ansammeln ist meist unklar.
Man kann aber davon ausgehen, dass sie ihren stillen Protest gegen digitalen Ticketkauf, gegen Abschirmung von Personen öffentlichen Interesses oder freie Platzwahl nicht als offizielle Demonstration angemeldet haben. Berlin nimmt es – ausnahmsweise – gelassen. Ich für meinen Teil lies mich währenddessen beeindrucken, langweilen und nachdenklich stimmen.

Kino von der anderen Seite der Welt 


Die Vorführung von Sakura namiki no mankai no shita ni (Cold Bloom) von Atsushi Funahashi, 11.02.13, 19.45 Uhr im Arsenal Kino, war das bisher ernüchterndste Erlebnis eines für ein Festivalprogramm nominierten Films – ob die Auswahlkommission hin und wieder selektive, gemeinschaftliche Wahrnehmungsstörungen erleidet, die Versagen in allen technisch-ästhetischen Bereichen des Filmschaffens ausblendet? Als Ausgleich im Kapitel „asiatischer Film“ ist jedoch das Werk Keisuke Kinoshitas erwähnenswert, das glücklicherweise feinfühliger mit den komplexen Mitteln kinematografischen Erzählens umgeht und nach den 80er bis 40er Jahren weiter hinabsteigend darf auch das außergewöhnliche Filmerlebnis des ältesten existierenden koreanischen Films aus dem Jahre 1934 nicht ungenannt bleiben: Cheongchun-eui sipjaro (Crossroads of Youth) von Ahn Jong-hwa, 10.02.13, 16.00 Uhr, Delphi Kino. Nach jahrmarktatmosphärischer Einladung folgt eine Band mit  Sänger und kontinuierlich synchronisierendem und kommentierendem Erzähler („pyeonsa“). Im Gegensatz zu den Europäischen oder Amerikanischen Pendants der Zeit ohne Tonspur, wurden nämlich keinerlei Zwischentitel oder Sprachtafeln eingefügt und Komik und Drama konnten sich auf einzigartige Weise nahtlos ineinander verschränken.

Elelwani , 10.02.13 , 21.30 Uhr CinemaxX, Regie: Ntshavheni Wa Luruli

Dieser bildüberwältigende Film bewegt sich auf kantigem und schluchtenreichem Terrain. Leicht fällt man in die unbewusst selbst gelegte Falle, die Narration und Inszenierung in diversen Diskursen zu verurteilen: Akzeptanz patriarchaler Machtstrukturen, spätkolonialistischer Blick auf Landschaft und Lebewesen, naive Kontraposition zwischen Hollywood und Minderheitendoku. Dies sind Abgründe, die in den Film hineinschauen. Man wird schnell selbst Teil der Reise in die Schluchten. Der Film erzählt die Geschichte von Elelwani, die nach abgeschlossenem Hochschulabschluss, dem ersten ihrer Familie, in ihr Dorf zurückkehrt, um Vele vorzustellen, den sie demnächst heiraten möchte. Der Freudentanz, der sie empfängt, scheint zunächst den Stolz der Familie auszudrücken, doch in Wirklichkeit gilt er der baldigen Hochzeit zwischen Elelwani und dem Stammeshäuptling, dem sie versprochen ist. Elelwani sträubt sich, muss jedoch zustimmen, erpresst mit dem Schicksal ihrer Schwestern.
Persönliche, festgefahrene Erwartungshaltungen an Film, Kino und Darstellung von Ethnizität wurden  hier als angemessene Diskursstrategien akzeptiert, die wir im Versuch, sich von den Gefahren der beschriebenen Abgründe zu befreien, nur noch mehr verinnerlichten statt aufzulösen. Wird man sich der Falle jedoch bewusst, ist es möglich, sie zu umgehen und plötzlich entfalten sich wie nach bestandener Prüfung weitere Lesarten und Ebenen, gibt es auf den zweiten Blick noch einen dritten. Wie in einem modernisierten Märchen, erklärt und verklärt das Ende sich nicht, sondern bleibt auch das visuell transzendiere haften. Ideen, Gefühl, Themen, Identitäten – more than meets the eye.

noch ein Wort zur Kunst

He maketh a path to shine after him; one would think the deep to be hoary – Teil 1 des Videokunstprojekts Canst thou draw out Leviathan with a hook?
11.02.13, Arsenal Kino 16.00 – 18.00 Uhr, Lucien Castaing-Taylor, Véréna Paravel

Das Programm des Forums auf der Berlinale umfasst neben dem gewohnteren Kinoerlebnis auch eine Reihe von Ausstellungen und Videokunst Installationen. In diesem Fall stach das Erlebnis eines fast geräuschlosen, nebenbei bemerkt aber auch fast leeren Kinosaals, heraus, der durch die lautlose 360-Minuten-Projektion mal kärglich, mal hypnotisch in grünes, blaues, gelbliches Licht getaucht wurde. Ein Pixelmeer unerkennbarer Aufnahmen zwischen purer Abstraktion und Erkennen stehen für einen Moment still, um dann ruckartige Veränderungen vorzunehmen. Die abstrakten Muster erwachen durch den Wechsel zu einer Bewegung und dadurch zu Vögeln, Wasserflächen, Wolken. Die Zelluloididentität des Mediums Film wird hinterfragt ohne in die sonst üblichen nostalgischen Muster zu verfallen. Ein gutes Beispiel dafür, wozu das Dispositiv Kino zwischen Leinwand, Zuschauerraum und Dunkelheit sonst noch fähig ist. 

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