«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

12/17/2011

meine finger wissen mehr als ich

Die ersten zwei Bilder aus "The Piano" von Jane Campion zeigen die Finger der Hauptperson Ada aus ihrer Perspektive. Ganz nah vor den Augen wirken sie wie ein Schleier zur Außenwelt. Das besondere an diesem Eröffnungsmoment ist jedoch, dass wir zunächst nicht wirklich wissen, was wir dort sehen, wir verstehen es nicht. Auch Vivian Sobchack, Professorin für Filmwissenschaft an der UCLA, erging es so, allerdings waren in gewisser Weise nur ihre Gedanke blind, ihre Finger hingegen konnten sehr wohl wahrnehmen, was sich dort auf der Leinwand abspielte. In einer Art somatischen Wahrnehmung, als wenn die Wahrnehmung statt über das Gehirn, direkt in die Finger laufen würde, wussten ihre Finger, dass es Finger waren, bevor sie es sich gedanklich klarmachen konnte.
Bei Zweitausendeins in Köln wurde ich gestern glücklicherweise fündig und konnte mir die Szenen auf der heimischen "Leinwand" selbst ansehen. Ein wahrer "Jane Campion", dramatisch, gefühlvoll, wunderschöne Bilder und gute Schauspieler. Das allererste Bild, dass Sobchack mit blur/Unschärfe beschreibt, konnte ich leider nicht finden. Aber am besten, man sieht sich den Film an und versucht, ihn in den Fingern zu spüren. Sicher, im Kino funktioniert das ganze natürlich sehr viel besser und ich erinnere mich an unzählige Situation, in denen das kribbeln bis in den kleinen Zeh ging, bevor ich mir überhaupt einer notwendigen neuronalen Reaktion bewusst war... Kino fühlen und man ist ganz und gar bewegt.
Despite my “almost blindness,” the “unrecognizable blur,” the resistance of the image to my eyes, my fingers knew what I was looking at–and this in advance of the objective “reverse” shot that followed and put those fingers in their “proper” place (that is, where they could be objectively seen rather than subjectively looked through). What I was seeing was, in fact, from the beginning, not an unrecognizable image, however blurred and indeterminate in my vision, however much my eyes could not “make it out.” From the first (although I didn’t “know” it until the second), my fingers comprehended that image, grasped it with a nearly imperceptible tingle of attention and anticipation and, off-screen, “felt themselves” as a potentiality in the subjective situation figured on-screen. And this before I re-cognized my carnal comprehension into the conscious thought: “Ah, those are fingers I am looking at.”

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