«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

4/11/2012

les femmes de benoit jacquot

Benoit Jacquot? Den französischen Regisseur kannte ich bisher nur von einigen Seiten aus Gilles Deulze' Kino-Büchern, Körperkino würde er machen. Jetzt habe ich dieses zum ersten Mal gesehen. 
In diesem Jahr eröffnete sein, zu schnell nur als Kostümfilm betitelte Film Les Adieux à la Reine die Berlinale und ich gebe zu, dass ich ihm zunächst sehr skeptisch gegenüberstand: noch ein Film über Marie-Antoinette, Diane Kruger, die mich bisher auf der Leinwand noch nicht sonderlich überzeugen konnte und das große Brimborium um den Film. Gestern, bei idealem Kinoregen, konnte mich der Abschied aber doch überzeugen. Im Mittelpunkt stehen die Frauen des Hofes, genauer gesagt Sidonie Laborde, Vorleserin der Königin, aus deren Sicht die drei letzten Tage vor der Französischen Revolution 1789 erzählt werden. Sidonie ist ein belesenes Mädchen, intelligent, aber ebenso naiv und Marie Antoinette voll und ganz ergeben. In erfurchtvoller Hingabe und eigentlich schon in blinder Liebe (so sehr, dass sie jegliche männlichen Avancen und die "üblichen" Probleme ihrer jungen Freundinnen gänzlich ausblendet) ignoriert Sidonie das irrationale Verhalten ihrer Königin und liest ihr jeden Wunsch von den Lippen, sogar bis das letztere von ihr den höchstmöglichen Preis dafür verlangt...Was zählt, ist die Königin, wie Jacqot selbst sagt. 
 “En fait, je me fiche un peu de Marie-Antoinette,
ce qui compte, c'est la reine, presque au sens
de reine des abeilles.” Benoît Jacquot

Das Ganze filmt er unglaublich modern und in wunderbar kadrierten Bildern, alle paar Minuten möchte man einen Still schneiden. Man kommt sich dabei aber teilweise auch zeitlich verrückt vor, als wäre der Film leicht anachronistisch und nicht wirklich in der richtigen Zeit. Léa Seydoux spielt spielt und spricht fast so, als wäre sie im 21. Jahrhundert und nicht im 18. und schlendert mit ihrem (Jute-)Beutel durch unbekümmert durch die Versailler Schloßgärten. So eine Schultertasche, die heute eigentlich eher Hipster-Erkennungsmerkmal wäre, habe ich in Kostümfilmen aus dieser Zeit noch nie gesehen, aber da es ein einfach zu nähendes Stück ist, kann ich es mir gut vorstellen. Der Film ist nah dran an der Haut der Frauen und an den Kleidern, Seydouxs Gesicht saugt jeden Lichtstrahl auf und reflektiert ihn. 
Das Problem bei Seydoux ist nur, dass sie so langsam in einen ziemlich festen Rollentypus rutscht, das verschlossene, geheimnisvolle, sehr weibliche Mädchen, das sich nichts sagen lässt (Belle Épine und La Belle Personne als Beispiele). Auch ihr neuster Film L'Enfant d'en-haut zeigt sie wieder in einem ähnlichen Charakter.
Diane Kruger kam mir zunächst sehr gekünstelt vor, aber gerade das passt zu ihrer Rolle, pour une fois.
Die dritte im Bunde, mit der Marie-Antoinette angeblich eine lesbische Beziehung geführt haben soll, ist Gabrielle de Polignac, gespielt von Virginie Ledoyen. Sie geht neben den beiden ersten Frauen etwas unter, ihr Gang ist ein bisschen zu sehr auf Catwalk modernisiert, aber vielleicht ist auch das nut Teil der Entrückung. Und im Grunde ist sie für die Beziehung der Königin und Mademoiselle Laborder auch nur ein Plot Point.
"Les Adieux à la Reine" ist ein haptischer Film, haben wir nach der Scéance festgestellt, der très sensuel und sensorisch ist und ja, ich möchte einmal in eines dieser raumgreifenden Kostüme steigen. 


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