«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

6/17/2012

der sinn der documenta 13

erklärt von Christoph Menke, Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt (wenn auch nicht die richtige Reiselektüre, entferne ich mich doch mit jedem Kilometer gen Paris wieder weiter von diesem zu fassenden Sinn). Menkes Erklärungen in der aktuellen Zeit lassen mich auch besser verstehen, weshalb sie alle fünf Jahre gerade in Kassel stattfindet, der Stadt im Nirgendwo und unterstreichen, dass die documenta mit Kunst zu tun hat, im Gegensatz zu den unzähligen jährlich stattfindenden Großspektakeln à la Art Basel, die gerade den Jahres-Kunstkreislauf schließt.
© Olaf Kosinsky
"Jede Documenta entwirft einen Begriff der Kunst. Das ist der Sinn der Documenta: Sie fragt, wie und wozu es Kunst gibt. Das unterscheidet sie von allen themen- und ortsbezogenen Ausstellungen und vor allem von den Biennalen der Gegenwartskunst"..."Jede Documenta arbeitet am Begriff der Kunst. Aus diesem Grund ist die Auswahl der Werke weder räumlich noch zeitlich begrenzt".

Es gehe der Documenta demnach nicht darum, einen Rundumschlag um den aktuellen Kunstmarkt zu machen, wobei hier das Wort Markt auch genau das Problem darstellt, sodnern darum, Kunst "von anderswo zu zeigen", womit sowohl andere Länder, als auch andere und verschiedene Kontexte gemeint sind. Eine graue, unauffällige Stadt wie Kassel, in die es einen ansonsten wohl eher selten verschlagen würde, ist also der ideale Ort, um mit Kunst gefüllt zu werden, wie ein Trichter. Die Kunstwerke kommen so in diesen zuvor leeren Trichter, werden aus ihrem Ursprungstrichter gerissen und übertreffen ihn, so Menke. Erst hier werden sie zu Kunst. "Indem jede Documenta nach dem gegenwärtigen Begriff der Kunst fragt, gibt sie bereits die Antwort: Sie versteht ihn als den Begriff einer Kunst, die sich durch radikale Selbstbefragung selbst bestimmt." Das Moderne der Documenta sei gerade dieses Hinterfragen, Befragen, Zweifeln an der Kunst, die Infragestellung dessen. Menke betont, dass man heute über die üblichen Fragen an die Kunst hinausgehen müsse, um in einer Gesellschaft, die sich selbst ständig neu erfindet und sich selbst experimentiert, der Kunst überhaupt gerecht zu werden. "Kunst als Wissen" und "Kunst als Oberfläche", kritische Ansätze versus ästhetische, das sei schön und gut, aber die eigentliche Frage, sei die nach der Form, die die eigentliche Freiheit darstelle.
Zu der Lektüre in der Zeit passt auch das Interview mit Jeff Koons auf der letzten Seite des Wochenendes der Süddeutschen. Das zeigt so ungefähr das genau Gegenteil von dem, was ich mir als einen Dialog über Kunst oder etwas ähnliches vorstelle. Ich spreche Koons sein Künstlerdasein gar nicht ab, aber auf die Documenta würde er trotzdem nicht passen. Mit einer "Kunst als Oberfläche" - auch hier, Kunst als Oberfläche ist nicht (nur) negativ konotiert - frage ich mich bei Koons aber häufiger, wo das Experiment mit der Form bei ihm bleibt? Ach ich vergass, der Herr möchte ja sowieso lieber "König" sein und posaunt stolz heraus, dass die Münchener Pinakothek das Lieblingsmuseum seiner Kinder sei, aha.... Koons ist zur Zeit auf der Art Basel und in Frankfurt zu sehen.
Lesenwerter ist da schon eher das Spezial des Monopol-Magazins. Silke Hohmann erklärt in der ersten Reportage die Intention der Documenta-Chefin (mit dem Doppelnamen, den ich mir einfach nicht merken kann) Carolyn Christov-Bakargiev, als eine Dar-, besser, Vorstellung des künstlerischen Denkens. Was passiert da, wenn Künstler Kunst machen? Es geht, wie auch Menke schon beschrieben hat, nicht um die Darstellung der Kontexte, in denen die Kunst entstanden ist, noch geht es um spezifische politische oder wirtschaftliche Thematiken, die es abzuarbeiten gilt. Kein Geniekult, sondern frei anwendbare Kunst. "Hin zu einem Denken, das aus dem Machen kommt".