«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

11/10/2013

laokoon 2.0


(ein vergessener post diesen sommers, gut, dass wir worte sammeln können und die beschriebene kälte der gläsernen körper passt zum nahenden winter)
"Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoons, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubt; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebt kein schreckliches Geschrei, wie Virgil von seinem Laokoon singet; die Öffnung des Mundes gestattet es nicht: es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibet. Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgeteilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann das Elend ertragen zu können.
Der Ausdruck einer so großen Seele geht weit über die Bildung der schönen Natur. Der Künstler mußte die Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem Marmor einprägte. Griechenland hatte Künstler und Weltweise in einer Person, und mehr als einen Metrodor. Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und blies den Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein, usw."
aus: G. E. Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, 1766

Und Laokoon 2.0.?

Michael Najjar
Der abwesend anwesende deutsche Künstler Michael Najjar hat ihn reinterpretiert. Abwesend, da ihn sein Webspace als einen "Artist in Space" ankündigt, dessen futuristisch philosophische Konzeptionen seine persönlichen Zukunftsvisionen der Menschheit wiedergeben. Najjar nennt Medientheoretiker und Philosophen wie Jean Baudrillard, Paul Virilio und Villem Flusser als Inspirationsquell für seine Hybridfotografie. Die Gesichter der bionic angels erinnerten mich zunächst an die Serie Real Humans, die vor einigen Wochen ausgestrahlt wurde. Keine Menschen, sondern Maschinen, von Menschenhand geschaffen, die in Zukunft die Erde mitbewohnen würden. Auch Najjar geht es ist seiner Serie der bionic angels, von der laokoon nur ein Teil ist, um die menschliche Evolution und die Tatsache, dass der Mensch mit Hilfe der Technologie einem idealisierten, perfekten Körper auf der Spur ist. Die Skulpturen hinterlassen bei mir Kältetod, eisig, starr, klinisch, emotionslos. Keine Spuren der Erinnerung, kein Gesichtsausdruck, in dem man lesen, der einem eine Geschichte verraten könnte. Natürlich kann man viel "heraus" interpretieren, aus der gläsernen Schlange und der Frauenfigur, die in Najjars Skulptur dazugekommen ist und ich frage mich, ob sich dann die Menschen (?) in 2000 Jahren sagen werden: "das war der Mensch". Schrecklich, eine ziemliche "Entzauberung".

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