«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

6/13/2010

Kopfkissenbuch #1

Unschickliches
Eine Dame mit dürftigem Haarwuchs, die mit Vorliebe kostbare weiße Damastgewänder trägt.
Künstliche Locken und Stockrosen hineingeflochten.
Armseliges Geschreibsel auf elegantem rosa Papier.
Eine Dienstmagd in vornehmem Purpurrock - neuerdings die allgemeine Mode!
Schnee auf armseligen Hüttendächern. Auch um den Monschein drauf ist's schade.
Eine Ehefrau der niederen Stände, die mit ihrem geistlosen Gatten glänzen möchte. (Manchmal gelingt es solchen Frauen sogar, einen wirklich klugen Mann um ihren kleinen Finger zu wickeln!)
Eine wohlbeleibte, ältere Frau mit einem jungen Liebhaber. Besonders wenn sie eifersüchtig ist und errät, dass er jungen Frauen nachläuft!
Eine alte Hexe, die Pflaumen kaut und dabei das Gesicht verzieht.
Ein hübscher Mann und eine häßliche Frau.
 © Fundstück von .ladouleurexquise

Aus den Tagebüchern der Hofdame Sei Shonagon, verfasst als "Skizzenbuch unterm Kopfkissen" ca um das Jahr 1000 während der Heianperiode. Stilkritik, Poesiealbum (Poesie spielte in der japanischen Hofkultur eine ausschlaggebende Rolle. Man vertrieb sich die Zeit, in dem man über alles ein Gedicht verfasste und gegenseitig fast ausschließlich in Gedichten und kurzen Billets kommunizierte. Erlebnisse in poetischer Schrift festzuhalten war dabei eine sehr angesehene Kunst des Adels) und Vorreiter gesellschaftlicher Klatschspalten, geschrieben mit etwas mehr Niveau als häufig gegenwärtige "Lästereien".
Erschienen zum ersten Mal 1944 im Verlag Ernst Heimeran, München.

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