«Je ne veux pas gagner ma vie, je l’ai.» Boris Vian, L'écume des jours

2/10/2013

anwesend in abwesenheit / présence en absence

das Zitat von Stéphane Bouquet vor einigen Tagen unterstreicht den fließenden Übergang zwischen Tanz und Film, verbunden durch den Körper. Das Herz dieses Filmkörpers schlägt seit Donnerstag wieder in Berlin, zur 63. Berlinale, in diesem Jahr unter Vorsitz des chinesischen Regisseurs Wong Kar-Wai (der Mann, der mit Karl Lagerfeld die Manie der schwarzen Sonnenbrille teilt, war heute Vormittag auf Arte war, interviewt von Vincent Josse in einem der raren guten Interviewformate des Fernsehens, Square. zum Visionieren einfach A SUIVRE klicken). Die frostigen Temperaturen haben mich zwar nicht angezogen, dafür aber die warmen und dunklen Kinosäle, das Cocon der Bilderhöhle umso mehr. Immerhin bietet die Pariser Cinémathèque auch etwas Filmflair und ich übergebe für einige Eindrücke en direct von dem Festival, das Tilda Swinton seit gefühlten 600 Jahren bereits besucht, an eine Gastschreiberin, die jeden morgen den eisigen Temperaturen trotzt, um sich, mit einer Akkreditierung bewaffnet, die Kinokarten für den nächsten Tag zu sichern, merci für die Eindrücke. Wettbewerbsfilmrezensionen wird es dabei allerdings nicht geben, denn unser Gast wird sich in die Kinosäle begeben, die neue, kleinere und vielleicht noch unentdeckte Filmfundstücke bereithalten. Noch mehr lesen, sehen und hören, kann man auf dem guten Berlinaleblog des Perlentauchers, in der SMS-Berichterstattung des Cargo-Magazins, auf dem Fragmentfilm-Blog oder dem Blog der Berlinale im Dialog, en francais et en allemand, (neben den klassikern der sz und der zeit, wo katja nicodemus oder tobias kniebe ihre eindrücke teilen), auf dem gerade Thomas Arslans Westernversuch mit Nina Hoss den Ritt durch die Wüste nicht so gut überstanden hat.

la citation de Stéphane Bouquet il y a quelques jours symbolise une transition sans faute entre danse et film, reliés par le corps. Le coeur de ce corps filmé se trouve momentanément à Berlin, où il bat pour la 63ème édition du festival de cinéma Berlinale, cette année sous l'égide du grand Wong Kar-Wai (l'homme qui partage avec Karl Lagerfeld l'excès des lunettes de soleil était ce matin sur Arte, dans Square, interviewé par Vincent Josse dans ce que la télé a comme un des rares bons format d'interviews en ce moment, après A SUIVRE). Les températures bien loin d'un agréable zéro ne m'ont pas attirer, néanmoins j'aurai aimé me retirer dans une des salles de cinéma chauffée et noir, dans le cocon d'une grotte à image. Heureusement que la cinémathèque parisienne propose une peu de flair de remplacement et je peux sans rancune remettre les impressions du festival, auquel Tilda Swinton a l'impression d'assister depuis 600 ans déjà, à ma rédactrice invitée, qui boude le verglas sur le Potsdamer Platz pour acquérir les places des projections du jours. Merci de partager ta Berlinale! (la Berlinale en allemand). Cependant il n'y aura pas de critiques de films en compétition, car notre invité est à la recherche d'écumes cinématographiques nouvelles, plus petites et bien inconnues...encore. 


Postcards from Berlin
ein Gastbeitrag von / Rédactrie invitée Kristina Lutscher
© K. Lutscher
Tag 0 – Ankunft/Exposition

Berlin begrüßt mit Schnee, Wind und Stofftaschen, die wie jedes Jahr noch ein bisschen einfacher und unpraktischer geworden sind. Ich antworte mit einer simplen selbstgesetzten Rahmenbedingung: schau um dein Leben. Ganz im Sinne des Franzosen Gilles Deleuzes reicht es nicht, müde zu werden, sondern es soll bis zur Erschöpfung alles getan werden was möglich ist:

I used to be darker – Freitag 08.02.13, Delphi Theater 21.30 Uhr, Regie: Matt Porterfield

„Familiendrama“ - ein Wort ist beschreibend genug, um alle richtigen Assoziationen hervorzurufen: Trennung, Liebeskummer, Generationenkonflikte, Schwangerschaft. Die Nichte eines sich im Auflösungsprozess befindenden Musikerehepaars taucht bei unangekündigter Reise nach Übersee im falschen Moment vor Ort auf, mit dem Versuch, die unglückliche, selbstverständlich in Schwangerschaft endende Liebesaffäre zu verdauen. Die Handlung schrammt mitunter haarscharf am Klischee vorbei und doch erzeugen die langsamen Szenen für genug empathische Regungen, um sich nicht abgestoßen oder gelangweilt zu fühlen. Wahrscheinlich weil der Film weniger mit einer typischen Familienstudie gemein hat, als mit einer musikalischen Studie in menschlichem Umfeld. Situationen ergeben Lieder, Lieder Stimmungen, Stimmungen rufen Situationen hervor. Musik wird gemacht, gehört, performt. Und über all dies legt sich ein weißer Schleier, eine puderfarbene Oberfläche auf allen Bildern. Wie der Blick durch einen Spiegel im ersten Stadium des Erblindens oder wie eine Schicht feinen Mehlstaubs, der sich auf alles und alle gelegt hat. Die gleißende Sonne eines amerikanischen Küstensommers scheint dadurch noch intensiver Wärme auszustrahlen und passt doch nicht zur Kühle des Unausgesprochenen, zur Wut, zur Furcht, zur Frustration, zur Verzweiflung. Und doch, es ist kein pessimistischer, kein dunkler Film. Die erwartete Katastrophe, die Katharsis oder Auflösung fällt aus. Was bleibt ist einfach wie immer - nur Leben.

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