voller Freude öffnete ich gestern mein digitales Postfach und entdeckte den ersehnten Artikel meines Gastschreibers, der hier bereits seine Gedanken zu Houellebecqs Prix-Goncourt Erfolg in lesenswerte Worte fasste. Nun geht es um Adolf Loos' Warum ein Mann gut angezogen sein soll.
Fertige Krawatten, nein, die führen wir nicht!
Adolfs Loos Enthüllungen über Männerkleidung
von Nicolas Oxen
von Nicolas Oxen
© stockholmestreetstyle |
Wir leben in Zeiten des Möglichen und des Ungefähren. Des Allesmöglichen? Besonders für die Mode scheint das zu gelten. „Warum ein Mann gut angezogen sein soll“, mit Sicherheit setzte unsere Zeit ein konjunktivisches sollte an das Ende dieses monolithischen Titels. Aber es handelt sich eben nicht um ein Beraterbuch, sondern das Manifest des klaren „modischen“ Stils. Männer und Mode. Was nach den M-Themen der Glanzmagazine klingt, erweißt sich als ihr Gegenteil. Stil ist Geradlinigkeit und Klarheit, nichts verbindet diese ästhetische Auffassung von Kleidung mit dem retro-stylo mash-up, der Bekleidungsphilosophie von „schräg und abgefahren“.
Der rotzige online-speak abertausender Modeblogs ist ein greller Kontrast zu diesem Buch, das seinen eingebildeten, autoritären Zug nicht loswird. Aber warum auch. Wie würde Kritik aussehen, wenn sie sich windet, statt wie bei Loos im Stechschritt des Sarkasmus zu marschieren? Ein guter Text, eine gute Textur, ein Stoff sind immer das Ergebnis von Haltung.Natürlich wird in diesem Buch auch ein bisschen Boutiquen-Wissen verbreitet und Shopping-Fetischismus betrieben. Loos zeigt sich gut informiert über Gehröcke, Hüte und deren beste Formen und Hersteller und weiß, warum der Frack ein Kleidungsstück für die Dunkelheit ist und das „Norfolkjaquet“ in keinem Kleiderschrank fehlen darf. Adolf Loos hat Stil, schreibt klar und streitet sarkastisch mit den hässlichen Dingen dieser Welt und mit sich selbst:
„Die Venus von Medici, das Pantheon [...] ja, das ist schön! Aber eine Hose!? Oder ob das Jacket drei oder vier Knöpfe besitzt!? Oder ob die Weste hoch oder tief ausgeschnitten ist!? Ich weiß nicht, mir wird immer schon angst und bang, wenn ich über die Schönheit solcher Sachen diskutieren höre.“
Darf man, muss man über so etwas wie Mode schreiben? Heute, wo das Wort Ästhetik inflationär gebraucht wird, scheinen solche Rechtfertigungsfragen überholt. Dass man allem
Diskussionsekel zum Trotz aber doch über Schönheit schreiben muss, zeigt sich in Loos Texten durch die permanente Enthüllungsleidenschaft und die ist grenzenlos, wie ein Blick ins Inhaltsverzeichnis verrät. Statt einer Monographie über Mode haben wir ein kleines Hausbuch in der Hand, das vom Kapitel „Wäsche“ bis zu dem Text „Vom Nachsalzen“ beschreibt, vorschreibt und kritisiert. Als poetische Eröffnung steht den Kapiteln das Lob der Gegenwart voran, ein Dank für das Glück und die Freiheiten der modernen Welt, das die Silben post-und re- nicht nur im Sinne der Mode überflüssig werden lässt. So befreiend wie befremdlich wirkt solch ein Text im Zeitalter der Gegenwartshäme und Vergangenheitssucht nach den „guten Dingen“. Die Mode und die moderne Welt. Diese beiden Dinge kann Loos preisen, weil er zu früh verstarb. Nach 1933 wurden Loos' geliebte Uniformen zu einer besonderen Bedrohung für die Errungenschaften der Moderne. Vielleicht ist diesem verpassten Einschnitt in die Geschichte die Zeitlosigkeit zu verdanken, die Adolf Loos an Mode so verehrt. Gemeint sind damit nicht die ewig schönen Dinge, sondern die nicht versiegende sinnliche Freude an perfekter Verarbeitung und hochwertigem Material.
„An Stelle der bisherigen Vorliebe für das Ornament muß der Gefallen am Material treten. Wir
kennen das Material überhaupt nicht.“
Dass Loos kein großer Fan von Ornamenten ist, weiß man aus seiner harten Kritik am Jugendstil und der großen Streitschrift des Funktionalismus Ornament und Verbrechen von 1908. Das klingt nach lustfeindlichem, wütenden Purismus, aber an Loos Beschreibungen wird deutlich, dass er ein sinnender und sinnlicher Dandy bleibt, für den Dekoration nur Zeit- und Kraftverschwendung ist. Eine glatte, sauber polierte Zigarettendose zu befühlen, die Textur eines guten Stoffs zu spüren, sind die wahren ästhetischen Freuden an den Gebrauchsgegenständen. Aber wann ist man jetzt gut angezogen? Loos Stilformel ist wie erwartet kurz und simpel:
„Gut angezogen sein, was heißt das? Das heißt korrekt angezogen sein.“ Und diese Korrektheit hat nichts mit Krawattenkonservatismus zu tun. Korrekt verbindet Loos mit Unauffälligkeit. Dass Mode nicht auffallen soll mag paradox klingen, es geht Loos aber nicht direkt um Mode, sondern darum gut angezogen zu sein. Modisch, ist was auffällt weil es verfällt – Hüte, Röcke, Jacken die man ein Jahr trägt und im nächsten damit dämlich auffallen wird, weil der new style nun eben alt geworden ist. Guter Stil und gute Kleidung ist funktional, universal und ewig. Eindrücklich wie bizarr wirkt, was Loos schon Anfang des letzten Jahrhunderts über Kleidung wusste -was an Kleidung wirklich bleibt, ist die Form.
Ein harter Schlag für die Liebhaber der Retro-Mottenkisten, die Jahr für Jahr neue Scheußlichkeiten der 80er, 90er und bald wahrscheinlich 00er rauskramen.
Was war ist gewesen und nichts kommt zurück. Dem preppie-Proletariat von H&M sei gesagt: Vatis alte Segelschuhe und Chinos aus Bangladesh sind kein Beweis für modisches Understatement. Für Styler aller Art benutzt Loos das schöne Wiener Schmähwort Gigerl. Einfallslose fashion victims, die sich mit so wenig Persönlichkeit kleiden, dass Mode zur Selbstrechtfertigung wird:
„Ein Gigerl ist ein Mensch, dem die Kleidung nur dazu dient, sich von seiner Umgebung
abzuheben. Bald wir die Ethik, bald die Hygiene, bald die Ästehtik herangezogen, um dieses
hanswurstige Gebaren erklären zu helfen.“
Letzte Frage: Geht es in diesem Buch um Männer und Mode? Die Antwort ist: Nein. Mode ist für Loos die Moden, Trends die kommen und vergehen. Mit Bekleidung hat das für ihn wenig zu tun. In erster Linie schreibt Loos über sich, seine Lust und Sehnsucht nach schönem Material und einfachen sinnvollen Kleidungsstücken. Das macht aus diesem Buch mehr als einen Stylingguide, Der Stil überdauert den Trend. Aktualitätsbezüge finden sich dennoch zu hauf. Schon auf Seite 13 erfahren wir, warum Karl Theodor zu Guttenberg gut daran getan hat, die graue Lodenjacke mit Hirschhornknöpfen im Schrank zu lassen:
„Die Tracht ist die Verkörperung der Resignation“.
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